Das ist der vollständige Text des Vortrages, den Herr Prof. Dr. Axel Schönberger am 17.02.2018 im Frankfurter PresseClub hielt.
Es ist eine weit verbreitete Meinung, daß die Wahrheit, wenn zwei sich streiten, doch eher in der Mitte liegen müsse, weswegen es den Streitenden gut anstehe, sich auf einen Kompromiß zu einigen. Dies gilt jedoch nicht für Fälle, in denen der eine eindeutig im Recht und der andere ebenso eindeutig im Unrecht ist. Hier kann und darf es keinen Kompromiß, sondern nur eine kompromißlose Parteinahme für denjenigen geben, der im Recht ist. Ein solcher Fall ist im Konflikt zwischen Spanien und Katalonien gegeben, auch wenn die veröffentlichte Meinung eines Großteils der deutschsprachigen Medien und die europäischen politischen Führer derzeit noch eine andere Meinung vertreten. Sie werden sie indes ändern müssen, wenn sie denn ihre Ämter behalten und das europäische Einigungswerk nicht von Grund auf zerstören wollen.
Der große Wurf der europäischen Einigung kann und wird nur gelingen, wenn die Herrschaft des Rechts überall in Europa ungeschmälert besteht und die Rechte — insbesondere die Menschenrechte — der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union in jedem Mitgliedsstaat unangetastet, unbedingt und uneingeschränkt Geltung haben. Wer vermeint, die Grundrechte bestimmter EU-Bürger staatlicherseits schmälern zu dürfen, weil sie beispielsweise Juden, Basken oder Katalanen sind, stellt sich selbst außerhalb der Gemeinschaft der zivilisierten Völker Europas. Wen auch immer in Deutschland das Schicksal des katalanischen Volkes und die Verletzung der Menschenrechte in Katalonien durch Spanien kalt läßt, der hat nichts, aber auch rein gar nichts aus der deutschen Vergangenheit der Jahre des Dritten Reiches gelernt und leugnet insbesondere die schwere Last der Verantwortung, die Deutschland als maßgeblicher Mitverursacher der jahrzehntelangen, bis heute nachwirkenden Unterdrückung der Katalanen unter dem verbrecherischen Regime des Massenmörders Francisco Franco nun einmal trägt.
Der amtierende Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, der Präsident des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, sowie der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, sind gemäß Artikel 51 der «Charta der Grundrechte der Europäischen Union», veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. März 2010 (C 83/389), unbedingt — soweit das Subsidaritätsprinzip gewahrt bleibt — verpflichtet, die Rechte dieser Charta zu achten und sich an deren Grundsätze zu halten. Dies gilt für alle Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union. Wenn sie dies — wie in den letzten Monaten traurigerweise zu beobachten war — nicht nur nicht tun, sondern sogar im Gegenteil in einer regelrechten ‘Verschwörung des Schweigens’ den massiven Menschenrechtsverletzungen, die Spanien gegenüber dem katalanischen Volk begeht, untätig zusehen und die unerhörten, barbarischen Rechtsbrüche und Menschenrechtsverletzungen in Spanien sogar verbal unterstützen und ausdrücklich gutheißen, sind sie moralisch und charakterlich nicht geeignet, diese hohen Ämter der Europäischen Union weiterhin auszuüben, sondern werden vielmehr zu Totengräbern der Ideale und Werte Europas und vergiften das europäische Projekt durch die Duldung der menschenrechtswidrigen Diktatur Spaniens in Katalonien und der willkürlich vorgehenden spanischen Unrechtsjustiz des spanischen Staates, die unbescholtene Bürger — teilweise trotz ihres Abgeordnetenstatus — aufgrund ihrer politischen Ansichten verfolgt und ihnen drakonische Strafen androht. Die auf dem Papier stehenden Werte Europas sind gute Werte. Die europäischen Führer haben sie schmählich und in unverzeihlicher Weise verraten und setzen so das gesamte europäische Projekt der Gefahr des langfristigen Scheiterns aus. Die Katalonienfrage ist zur Schicksalsfrage der Europäischen Union geworden. Noch ist es nicht zu spät. Noch kann die Europäische Union reagieren. Noch ist für das europäische Projekt die Sonne aller Tage nicht untergegangen.
Da ich immer wieder feststelle, daß grundlegende Fakten vielen nicht bekannt sind, fasse ich einiges, was die in ihren Menschenrechten zutiefst verletzten EU-Bürger Katalonien vermutlich für allen Europäern bekannt halten dürften, kurz zusammen. Aus der «Charta der Grundrechte der Europäischen Union» seien zunächst insbesondere folgende Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union hervorgehoben:
— das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 6),
— das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 10),
— das Recht auf freie Meinungsäußerung, das auch das Recht der Meinungsfreiheit und die Freiheit beinhaltet, Informationen und Ideen ohne Eingriffe staatlicher Behörden zu empfangen und weiterzugeben (Artikel 11),
— das Recht, sich in allen Bereichen und auf allen Ebenen frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, insbesondere auch im politischen und zivilgesellschaftlichen Bereich (Artikel 12),
— das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben (Artikel 15),
— die Gleichheit aller Personen vor dem Gesetz (Artikel 20),
— das Diskriminierungsverbot, das auch eine Diskriminierung wegen der Sprache, der politischen oder sonstigen Anschauung sowie der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit verbietet (Artikel 21),
— die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen (Artikel 22),
— das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Artikel 45),
— das Recht einer jeden Person, deren Rechte oder Freiheiten, die ihr durch das Recht der Europäischen Union zugesichert werden, vor einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen (Artikel 47),
— die Unschuldsvermutung zugunsten eines jeden Angeklagten bis zum etwaigen, rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld (Artikel 48),
— die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen, wonach u. a. niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war und das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf (Artikel 49).
Auch die «Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten», die sogenannte «Europäische Menschenrechtskonvention» (ERMK), die gemäß Artikel 6 Abs. 3 des EU-Vertrags Teil des Unionsrechts ist und seitens des Königreichs Spanien am 4. Oktober 1979 ratifiziert wurde, stimmt — was wäre auch anderes zu erwarten — inhaltlich mit der europäischen Grundrechtscharta überein und garantiert insbesondere das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5), das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6), den Grundsatz, daß keine Strafe ohne ein Gesetz verhängt werden darf (Artikel 7), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9), die Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 10), die Versamlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 11) sowie das Diskriminierungsverbot (Artikel 14). Sowohl die Grundrechtscharta als auch die Menschenrechtskonvention verpflichten die Europäische Union auf die Menschenrechte.
Zwar ist die «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1948 für die Mitgliedsstaaten nicht rechtsverbindlich, auch wenn sie mittlerweile gemeinhin als Bestandteil des Gewohnheitsrechts der Völker angesehen wird, jedoch sind die mittlerweile zehn Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen für alle Unterzeichnerstaaten bindendes, zwingendes Recht, soweit sie nicht bei der Unterzeichnung entsprechende Vorbehalte anbrachten. Die Menschenrechtskonvention der Europäischen Union nimmt ausdrücklich auf die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen Bezug und inkorporiert diese in das Unionsrecht. Zusätzlich legt auch der Vertrag über die Europäische Union, in seiner konsolidierten Fassung am 7. Juni 2016 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (2016/C 202/01), in Artikel 2 die Werte fest, die der Europäischen Union zugrundeliegen sollen, nämlich Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.
Das Königreich Spanien hat als Mitgliedstaat der Europäischen Union den EU-Vertrag unterschrieben, die Europäische Menschenrechtskonvention sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt und die entsprechenden Menschenrechte in seine Rechtsordnung übernommen. Es hat darüber hinaus am 27. April 1977 den am 23. März 1976 in Kraft getretenen Zivilpakt der Vereinten Nationen, den «Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte», der die bürgerlichen Menschenrechte der ersten Generation definiert, bedingungslos ratifiziert, und es hat am selben Tag auch den gleichfalls 1976 in Kraft getretenen «Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte» der Vereinten Nationen, der die grundlegenden sozialen Menschenrechte der zweiten Generation in völkerrechtlich verbindlicher Form garantiert, vorbehaltlos ratifiziert. Nach Artikel 10 Abs. 2 der Verfassung des Königsreichs Spanien von 1978 darf der spanische Staat darüber hinaus sämtliche Grundrechte und Freiheiten, welche die spanische Verfassung garantiert, nur in Übereinstimmung mit dem vorrangigen, zwingenden Recht der von Spanien unterzeichneten Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen auslegen. Durch die Bestimmungen des Artikels 96 Abs. 1 der Verfassung des Königreichs Spanien gelten die von Spanien vorbehaltlos ratifizierten Menschenrechtspakte zudem zwingend als Teil des spanischen Rechts, wobei ihre Inhalte keineswegs willkürlich oder à la carte, sondern ausschließlich auf dem in diesen Verträgen selbst vorgesehenen Wege oder in Übereinstimmung mit den allgemeinen Normen des internationalen Rechts aufgehoben, abgeändert oder ausgesetzt werden dürfen. Spanien hat kein Recht, die in den von ihm ratifizierten Menschenrechtspakten niedergelegten Menschenrechte selbständig dahingehend zu interpretieren, daß sie eingeschränkt, zurückgenommen oder verweigert werden dürften. Als zwingendes Recht stehen sie vielmehr über dem Postulat der Einheit Spaniens, das zwar auch in der spanischen Verfassung verankert ist, in Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht der Vereinten Nationen jedoch nur als gegen einen Angriff von außen gerichtet aufgefaßt werden darf.
Hierdurch sowie in Folge von Artikel 9 der Verfassung des Königreichs Spanien von 1978 sind Amtsträger des spanischen Staates in der Legislative, Judikative und Exekutive unbedingt an das zwingende Recht der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen gebunden. Verstoßen sie gegen die Menschenrechte, so verstoßen sie gegen spanisches, europäisches und internationales Recht. Tolerieren, billigen und unterstützen Amtsträger der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedsstaaten massive Menschenrechtsverletzungen durch einen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so tolerieren, billigen und unterstützen sie nicht nur schwere Rechtsverstöße gegen nationales, europäisches und internationales Recht, sondern verlieren insbesondere selbst jegliches moralische Recht, weiterhin ein öffentliches Amt in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in dieser selbst zu bekleiden. Dies gilt für die Herren Jean-Claude Juncker, Antonio Tajani und Donald Tusk ebenso wie für die geschäftsführende Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel, und ihren geschäftsführenden Außenminister, Herrn Sigmar Gabriel, die sogar ihre Amtseide verletzten, wenn sie entgegen der sie bindenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland massive Menschenrechtsverletzungen in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Ausübung ihrer Amtstätigkeiten als Mitglieder der deutschen Bundesregierung billigend unterstützen.
Wer die Menschenrechte mißachtet und mit Füßen tritt, wer zu Menschenrechtsverletzungen in Europa schweigt oder Menschenrechtsverletzungen in Europa mit Hinweis auf vermeintlich über den Menschenrechten stehendes nationales Recht duldend hinnimmt, billigt und gutheißt, hat weder aus der düsteren Vergangenheit Deutschlands und Italiens gelernt noch das Wesen der Menschenrechte verstanden, sondern trägt entscheidend dazu bei, die moralische und ideelle Grundlage des europäischen Einigungsprozesses zu zerstören, das große Werk der vorherigen Generationen zu nichten und der Wiederkehr der faschistischen Ideologie in Spanien und anderswo den Boden zu bereiten. Wenn diejenigen, die Menschenrechtsverletzungen tolerieren und gutheißen, an ihren Ämtern und Funktionen kleben, werden die Bürgerinnen und Bürger Europas derart pflichtvergessene Politikerinnen und Politiker aus ihren jeweiligen Ämtern jagen, sobald sie die Ungeheuerlichkeit des Handelns all derjenigen, die Millionen von Unionsbürgern in Katalonien deren Menschenrechte absprechen wollen, in voller Tragweite erkannt haben werden.
Menschenrechte sind universell, unveräußerlich und unteilbar. Sie gelten für die Katalanen ebenso wie für alle anderen Bürger der Europäischen Union. Jeder EU-Bürger, der für die Verteidigung der Menschenrechte der Katalanen eintritt, verteidigt die Menschenrechte aller EU-Bürger und somit auch seine eigene. Jeder EU-Bürger, der den Katalanen ihre Menschenrechte ganz oder teilweise abspricht, stellt sich außerhalb der Rechtsordnung der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten. Die Freiheit der Katalanen ist auch unsere Freiheit. Ihre rechtswidrige Unterdrückung durch Spanien geht uns allein ganz Europa an.
Spanien verletzte und verletzt in Katalonien die Menschenrechte vorsätzlich, millionenfach, massiv und schwerwiegend. Es stellt sich dadurch außerhalb der Gemeinschaft der zivilisierten Völker. Spanien bricht und mißachtet internationales, europäisches und nationales Recht in willkürlicher Weise und unter kollusiver Zusammenwirkung von Legislative, Judikative und Exekutive, für die das Prinzip der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit nicht mehr zu gelten scheint, wenn es um die scheinbar über allem thronende, vermeintlich höchstrangige Rechtsfigur der ewigen Einheit Spaniens geht, auf deren Altar auch das spanische Strafrecht und die spanische Strafprozeßordnung zunehmend geopfert werden.
Ob man die keineswegs infolge gesetzlicher Vorgaben, sondern vielmehr willkürlich inhaftierten katalanischen Politiker und Vertreter der katalanischen Zivilgesellschaft — Jordi Sànchez und Jordi Cuixart sind nunmehr bereits seit vier Monaten grundlos und unter Verletzung ihrer Menschenrechte in präventiver Schutzhaft, und auch Dr. Oriol Junqueras sowie Joaquim Forn werden von der spanischen Unrechtsjustiz weiterhin aus grundloser Willkür ihrer Freiheit beraubt — sprachlich als «politische Gefangene», als «Inhaftierte aus Gewissensgründen» oder als «politische Geiseln» bezeichnen mag, ist für den eigentlichen Sachverhalt zweitrangig: In Spanien wurden und werden von einer offensichtlich nicht unabhängigen, sondern mit dem spanischen Regime zusammenarbeitenden Justiz katalanische Politiker allein deswegen in Haft genommen, weil sie im Rahmen der spanischen Rechtsordnung und der Menschenrechte auf friedliche Weise politische Positionen vertreten haben und vertreten, die dem spanischen Staat nicht genehm sind. Dabei wird seitens der Justiz sogar eigens darauf verwiesen, daß es die politische Gesinnung der Inhaftierten erwarten lasse, daß sie sich erneut in entsprechender Weise politisch betätigen würden, weswegen sie eben in Haft zu halten seien, um eine solche politische Betätigung und eine friedliche, politische Umsetzung ihrer Ansichten zu verhindern sowie es ihnen zu verunmöglichen, von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit oder sogar von ihren Rechten als gewählte Abgeordnete Gebrauch zu machen. Es wurden Regierungsmitglieder der katalanischen Regierung und Abgeordnete des katalanischen Parlaments inhaftiert, für die nach spanischem Recht eine diplomatische Immunität galt und gilt, die ohne hinreichende Rechtsgrundlage unter Verweis auf eine angebliche Ermächtigung des aus Sicht des spanischen Regimes geradezu ‘magischen’ ‘Ermächtigungsartikels’ 155 der Verfassung des Königreichs Spanien durch eben dieses Regime illegalerweise für aufgehoben erklärt wurde.
Die willfährige spanische Justiz, die man nach den Ereignissen der letzten Monate mit Fug und Recht als ‘willkürliche Unrechtsjustiz’ bezeichnen darf, ebenso wie Spanien es inzwischen verdient, ein ‘Unrechtsstaat’ genannt zu werden, verweigert den ihrer Freiheit und ihrer bürgerlichen Handlungsmöglichkeiten beraubten katalanischen Politikern ihr Menschenrecht auf Freiheit, ihr Menschenrecht auf Gedanken- und Gewissensfreiheit, ihr Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung, ihr Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit, ihr Menschenrecht auf ein faires Verfahren, ihr Menschenrecht, als unschuldig zu gelten, solange sie nicht rechtmäßig verurteilt wurden, und verstößt zudem gegen die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen, indem auf einmal — und vor allem für die Akteure in nicht vorhersehbarer Weise — das nach spanischem Recht noch nicht einmal strafbewehrte, da gewaltlose politische Eintreten für eine staatliche Unabhängigkeit Kataloniens in Form einer Republik als schwere Straftat gelten und mit bis zu dreißig Jahren Gefängnis bestraft werden soll, wobei der mit Duldung der gleichfalls katalonienfeindlichen Partei Ciudadanos in Spanien regierende Partido Popular derzeit eine Gesetzesänderung erwägt, die im Falle einer solchen Verurteilung jegliche Form der Haftverkürzung oder Strafmilderung ausschließen soll.
Unzweifelhaft setzten die Katalanen ihr politisches Projekt bislang ausschließlich friedlich — und in einer für die Weltgemeinschaft vorbildlichen, völkerrechtskonformen und demokratischen Weise — um, während der spanische Staat mit brutaler Gewalt und Repression reagierte, die Grenzen seiner eigenen Verfassung und seiner Rechtsordnung weit und deutlich überschritt und sogar den Einsatz des spanischen Militärs gegen das friedliche katalanische Volk in Erwägung zog. Nebenbei sei angemerkt, daß vor dem Referendum vom 1. Oktober 2017 offenbar ganz Katalonien aus der Luft kartographiert wurde und etliche Pizarro-Panzer aus anderen Regionen Spaniens nach Katalonien gebracht worden sein sollen. Die spanische Verteidigungsministerin Cospedales äußerte sich mehrfach dahingehend, daß das spanische Militär im Oktober 2017 und auch danach einsatzbereit gewesen sei, um eine Abspaltung Kataloniens von Spanien zu verhindern. Es ist ebenso unverständlich wie ungeheuerlich, daß nicht bereits die Ankündigung Spaniens, zu einem verbrecherischen Einsatz des Militärs unter dem Oberbefehl des offenbar grundsätzlich mit einer solchen Vorgehensweise einverstandenen spanischen Königs gegen die friedliebenden Katalanen bereit gewesen zu sein, zu entschiedenen Protesten der Europäischen Union und der Vereinten Nationen führte.
Wenn die Europäische Union und die Vereinten Nationen ihre Statuten und geltendes Recht achten und wahren wollen, müssen sie kompromißlos und in aller Schärfe Spaniens Vorgehen, Politiker infolge deren friedlichen Eintretens für politische Ziele zu verhaften und in Gefängnissen ihrer Freiheit zu berauben, verurteilen und entsprechende Sanktionsmaßnahmen gegen Spanien einleiten, sofern es seine politischen Gefangenen nicht wieder in die Freiheit entläßt und dem katalanischen Volk weiterhin dessen grundlegendes Menschenrecht auf Selbstbestimmung vorenthält. Eine vierstellige Zahl katalanischer Juristen hat bereits gegen die eklatanten Verstöße der spanischen Justiz gegen das spanische Strafrecht und die spanische Strafprozeßordnung protestiert, welche vor allem die Audiencia Nacional und der Oberste Gerichtshof (Tribunal Supremo) in Madrid zu verantworten haben, die zudem die an sich zuständige Gerichtsbarkeit in Barcelona ohne erkennbare Rechtsgrundlage übergingen. Alleine der Umstand, daß in Spanien ohne ausreichende strafrechtliche Grundlage, ja sogar ohne Vorliegen entsprechender Straftaten Politiker inhaftiert werden, um sie an ihrer dem spanischen Regime mißliebigen politischen Tätigkeit zu hindern, ist ein unerhörter Skandal. Daß die in Spanien regierende Volkspartei sich dessen auch noch mit dem Hinweis rühmt, sie — und nicht etwa die spanische Justiz — habe die führenden Köpfe der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ins Gefängnis gebracht oder veranlaßt, ins Exil zu gehen, daß ein Sprecher der immer deutlicher faschismusaffinen spanischen Volkspartei Wochen vor dem Bekanntwerden des rechtswidrigen Vorgehens der spanischen Unrechtsjustiz bereits ankündigte, daß den 130. Präsidenten der katalanischen Regierung dasselbe Schicksal ereilen werde, wie es seinem von den spanischen Faschisten gefolterten und ermordeten Vorgänger Lluis Companys zuteil ward, daß der selbe Parteifunktionär der Volkspartei, Pablo Casado, den katalanischen Parlamentspräsidenten Roger Torrent mahnte, daran zu denken, daß er Kinder habe, ist ebenso widerwärtig wie unerträglich!
Die Kinder und Enkel der Verbrecher und Mörder, die unter Führung des gewissenlosen spanischen Massenmörders Francisco Franco gegen die spanische Republik putschten und nur infolge der kriegsentscheidenden Unterstützung des nationalsozalistischen Deutschlands die Katalanischen Länder, welche die damalige demokratische Verfassung und die Republik bis zuletzt verteidigten, militärisch besiegen und in der Folge über Jahrzehnte brutal unterdrücken konnten, sangen einst in ihrer Jugend in Sommerlagern die Lieder der faschistischen Verbrecher und feierten die Mörderbande der Falange als angebliche «Helden», die das Vaterland gerettet und die Einheit Spaniens verteidigt hätten. Ihre heutige Partei ist die spanische Volkspartei, die im Oktober 2017 ein unheilvolles, antidemokratisches Bündnis mit den spanischen Sozialisten und der Partei Ciudadanos einging, um einen umfassenden Staatsstreich von oben durchzuführen und eine menschenrechtswidrige, demophobe Diktatur in Katalonien zu errichten.
Daß Spanien in Katalonien eine große Zahl von Internetseiten sperren ließ, um so das Referendum am 1. Oktober 2017 zu verhindern, daß Spanien millionenfach — und im Falle prominenter Katalanen bereits Monate vor dem Referendum — Ferngespräche und jegliche Form der elektronischen Kommunikation überwachte und auswertete, daß die paramilitärische spanische Guardia Civil und die spanische Nationalpolizei in Katalonien verbotenerweise Gummigeschosse gegen die friedliche Bevölkerung einsetzen und es zu Gewaltexzessen der Polizisten gegenüber den unbewaffneten Katalanen kam, wegen derer Hunderte von Menschen verletzt wurden, ein Mann auf einem Auge erblindete und ein weiterer reanimiert werden mußte, daß Spanien dem am 21. Dezember 2017 gewählten Abgeordneten Carles Puigdemont — und nicht nur ihm — in innerhalb der Europäischen Union noch nie dagewesener Weise zur Zeit faktisch verunmöglicht, sein Abgeordnetenmandat wahrzunehmen und sich als Präsident der Generalitat de Catalunya wiederwählen zu lassen, daß eine immer größere Zahl von Katalanen von der spanischen Justiz verfolgt wird, um so die katalanische Unabhängigkeitsbewegung einzuschüchtern, daß die Zuständigkeiten der Gerichtsbarkeit nicht respektiert werden, daß einer Straftat Beschuldigte vor Gericht auf ausdrückliche anwaltliche Nachfrage noch nicht einmal eine Auskunft darüber erhalten, welche Tatvorwürfe ihnen gegenüber erhoben werden und weswegen gegen sie ermittelt wird, muß jeden anständigen, aufrichtigen und rechtstreuen Bürger Europas zutiefst beunruhigen und schmerzen. Für das deutsche Verständnis eines funktionierenden Rechtsstaats etwa mutet es schlichtweg unverständlich an, daß beispielsweise der ehemalige spanische Verfassungsrichter und Senator Santi Vidal bei seiner Vernehmung im Februar 2018 durch seinen Anwalt das Gericht fragen ließ, weswegen denn überhaupt gegen ihn ermittelt werde, worauf seitens des Gerichts lediglich geantwortet wurde, daß es in diesem offenen Fall mehrere Straftatbestände gebe und man später schon sehen würde, welche diese seien. All dies ist eine ungeheuerliche Verschwörung der spanischen Justiz und des spanischen Regimes gegen Katalonien und darf weder von der Europäischen Union noch von der Weltgemeinschaft toleriert werden!
Viele Katalanen würden es in der derzeitigen Lage wohl bereits als Fortschritt betrachten, wenn das postdemokratische Spanien zumindest die rechtlichen Standards etwa der Türkei einhielte, an die das durch und durch korrupte Spanien, in dem auch die Gewaltenteilung faktisch aufgehoben zu sein scheint, derzeit nicht heranreicht. Während nämlich die Türkei in der Vergangenheit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vollumfänglich nachkam und diese umsetzte, beharrte das iberische Königreich auf dem Standpunkt, daß es gegen Spanien ergangene Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht umzusetzen brauche. Allein seit dem Jahr 2004 wurde Spanien bislang elfmal wegen Menschenrechtsverstößen verurteilt, zum bislang letzten Mal im Februar 2018 wegen körperlicher Mißhandlung von baskischen Gefangenen durch spanische Beamte. Getan hat sich freilich relativ wenig, weswegen die Ankündigung des katalanischen Parlamentspräsidenten Roger Torrent, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bezüglich der spanischen Maßnahmen anzurufen, mittels derer Spanien die erneute Wahl von Carles Puigdemont zum Präsidenten der Generalitat de Catalunya zu verhindern trachtet, zwar zu einer neuen Verurteilung Spaniens führen mag, in der Sache jedoch aller Voraussicht nach nicht zielführend, sondern lediglich ein Zeitverlust zugunsten Spaniens sein wird.
Aber was kann man, was können die Katalanen, was können die Bürger Europas in einer solchen Situation überhaupt tun? Bevor ich eine Antwort auf diese Frage zu geben versuche, fasse ich zunächst die derzeitige Ausgangslage in wenigen Punkten zusammen:
1. Spanien hat in Katalonien eine rechtswidrige Diktatur errichtet und in einer Schwere und Massierung gegen die Menschenrechte verstoßen, wie es in einem Land der Europäischen Union seit Jahrzehnten nicht vorgekommen war. Die Europäische Union stellt sich derzeit uneingeschränkt unterstützend auf die Seite Spaniens, heißt die dortigen schweren Menschenrechtsverletzungen ausdrücklich gut und verrät so die Rechte von Millionen von EU-Bürgern, als ob Katalanen keine EU-Bürger, sondern lediglich von Spanien unterworfene Sklaven seien, für die die Menschenrechte keine Geltung hätten.
2. Dadurch ist in Katalonien ein Klima der Angst und Repression entstanden, das auch die anderen Autonomen Gemeinschaften — insbesondere das Land València und die Balearen, die bekanntlich Teil der Katalanischen Länder sind, sowie das Baskenland — erfaßt hat. Alle Autonomen Gemeinschaften Spaniens wissen nun, wie es um ihre vermeintliche Autonomie bestellt ist. Alle müssen nun Angst haben, daß der postdemokratische spanische Zentralstaat ihre Politiker und prominente Vertreter der Zivilgesellschaft gleichfalls verfolgen, in willkürlicher Weise einkerkern und unter lächerlichen, an den Haaren herbeigezogenen Vorwänden, wie es derzeit dem ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas widerfährt, ihrer Vermögen berauben wird, daß er ihre Institutionen zerstört, ihnen ihre Medien nimmt und ihre jeweilige Sprache aus dem Bildungssystem zu verdrängen und durch die kastilische Sprache zu ersetzen sucht.
3. Es gibt keine Rückkehr zu dem vorherigen Zustand. Das spanische Regime hat ihn für immer zerstört. Jedes Nachgeben Kataloniens gegenüber Spanien ist fortan eine Illusion und führt zu nichts. Das Spanien der Autonomien ist tot. Es gibt für Katalonien nichts mehr zu retten, indem man sich dem Diktat Spaniens unterwirft. Es geht vielmehr um alles oder nichts, die Durchsetzung der Menschenrechte der Katalanen und insbesondere ihres Rechts auf eine selbstbestimmte Zukunft in Würde und Freiheit oder ihre mittelfristige Vernichtung als eigenes Volk und eigene Nation sowie ihre langfristige Unterwerfung.
4. Der spanische Staat hat mittels seines keineswegs unabhängigen Justizsystems politische Geiseln genommen, die als «politische Gefangene» oder als «Gefangene aus Gewissensgründen» zu bezeichnen sind. Allein dieser Umstand ist eine Schande für Spanien und beschmutzt den Ruf Spaniens in aller Welt!
5. Der spanische Zentralstaat beutet Katalonien in einer rücksichtslosen Weise aus, als ob es eine unterworfene Kolonie sei. Er finanziert mit den aus Katalonien stammenden Geldern anderenorts großzügige Investitionen und vernachlässigt gleichzeitig seit Jahrzehnten den Ausbau der katalanischen Infrastruktur, obwohl diese einen mittlerweile erheblichen Nachholbedarf hat. Der ‘Nettogewinn’, den Spanien aus seiner faktischen katalanischen Kolonie zog und zieht, liegt nach seriösen Berechnungen bei mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr.
Was ist also zu tun? Zunächst einmal dürfen die Katalanen sich nicht länger auf das verlogene Spiel des spanischen Staates, der die Spielregeln ohnehin willkürlich immer wieder so ändert, wie es ihm zupaß kommt, einlassen. Sie müssen diese Regeln brechen und selbst den Gang der Ereignisse bestimmen. Der große Soziologe Norbert Elias hat in seinem Aufsatz «Die Fischer im Mahlstrom», der in seinem Buch Engagement und Distanzierung: Arbeiten zur Wissensoziologie I (herausgegeben und übersetzt von Michael Schröter, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1987, S. 75-183) erschienen ist, an Edgar Allan Poes Parabel zweier Fischer, deren Boot in einen Mahlstrom hinabgezogen wird, eine typische ‘Doppelbinder’-Situation verdeutlicht, wie sie sich derzeit auch in Katalonien abspielt.
«Während die Fischer langsam in den Abgrund des Strudels gezogen wurden, trieben sie noch eine Zeitlang mit anderen Wrackstücken die Wände seines enger werdenden Trichters entlang. Zuerst waren beide Brüder — der jüngste war bereits im Sturm untergegangen — zu sehr von Furcht überwältigt, um klar denken und genau beobachten zu können, was um sie herum geschah. Nach einer Weile jedoch, so erzählt uns Poe, vermochte einer der Brüder seine Furcht abzuschütteln. Während der ältere, durch die nahende Katastrophe gelähmt, hilflos im Boot kauerte, faßte sich der jüngere Mann und begann, mit einer gewissen Neugierde um sich zu schauen. Nun, als er alles mit größerer Ruhe zusammen sah, beinahe als ob er nicht davon betroffen wäre, bemerkte er gewisse Regelmäßigkeiten in den Bewegungen der Trümmer, die zusammen mit dem Boot in Kreisen herumgetrieben wurden. Kurz: Durch Beobachten und Überlegen kam er zu einer «Idee»; ein zusammenhängendes Bild des Prozesses, in den er verwickelt war, eine «Theorie», begann in seinem Denken Gestalt anzunehmen. Indem er mit geschärfter Aufmerksamkeit um sich sah und nachdachte, gelangte er zu dem Schluß, daß zylindrische Gegenstände langsamer sanken als Gegenstände jeder anderen Form und kleinere Gegenstände langsamer als größere. Aufgrund dieses synoptischen Bildes der Regelmäßigkeiten in dem Prozeß, in den er verwickelt war, und nachdem er deren Bedeutung für seine eigene Situation erkannt hatte, unternahm er die angemessenen Schritte. Während sein Bruder in Furcht erstarrt blieb, band er sich selbst an ein Faß. Vergeblich forderte er den Älteren auf, dasselbe zu tun; dann sprang er über Bord. Das Boot mit dem Bruder sank schneller und wurde am Ende von dem Abgrund verschlungen. Das Faß hingegen, an dem er hing, wurde weit langsamer in die Tiefe gezogen, so daß sich der Fischer, als die Neigung der Trichterwände allmählich wieder weniger steil und die Kreiselbewegung des Wassers weniger heftig wurden, an der Oberfläche des Meeres wiederfand und schließlich unter die Lebenden zurückkehrte.
Der Fischer sah sich, kurz gesagt, in einen kritischen Prozeß verwickelt, der zuerst völlig seiner Kontrolle entzogen schien. Eine Zeitlang mag er sich an irgendwelche imaginären Hoffnungen geklammert haben. Phantasien von einem Wunder, einer Hilfe durch unsichtbare Personen mögen ihm durch den Sinn gegangen sein. Nach einer Weile jedoch beruhigte er sich. Er begann, kühler zu denken; und indem er zurücktrat, seine Furcht kontrollierte und sich selbst gleichsam aus größerer Distanz als Menschen betrachtete, der mit anderen, mit wilden Naturgewalten, eine bestimmte Konstellation bildete, brachte er es fertig, seine Gedanken von sich weg auf die Situation zu lenken, in der er gefangen war. Nun erkannte er die Elemente in dem unkontrollierbaren Prozeß, die er benutzen konnte, um dessen Verlaufsbedingungen für sein eigenes Überleben besser zu kontrollieren. Indem er in seiner Vorstellung die Struktur und Richtung des Ereignisflusses symbolisch repräsentierte, entdeckte er einen Weg des Entkommens. Das Niveau der Selbstkontrolle und das Niveau der Prozeßkontrolle waren in dieser Situation, wie man sehen kann, interdependent und komplementär.» (S. 79-80).
Die Katalanen mögen es wie dieser Fischer halten und mit kühlem Blick die derzeitige Lage analysieren. Der spanische Staat, in dem die Korruption in gigantischem Ausmaß endemisch ist, gibt Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Demokratie auf und droht in dem Mahlstrom einer menschenrechtswidrigen Diktatur zu versinken. Dem bereits im Sturm untergegangenen Bruder des Fischers entspricht das Land València, dem anderen Bruder, der gerettet werden könnte, aber aus Angst und Furcht reglos verharrt und so wohl mit in den Untergang gerissen wird, die gleichfalls katalanischsprachigen Balearen. Ein weiteres Verbleiben Kataloniens auf dem sinkenden Schiff des spanischen Staates würde zum Untergang auch Kataloniens führen, die Rettung vor dem Untergang liegt darin, sich furchtlos ein für allemal von Spanien abzukoppeln und mit vorsehender Selbstkontrolle und selbstbestimmter Prozeßkontrolle einen eigenen, erfolgversprechenden Weg zu gehen, auf dem sich Katalonien die Spielregeln nicht von Spanien diktieren lassen darf, sondern selbst den Rahmen für die Ereignisse setzen muß, wobei es von Europa weder Wunder noch die Hilfe unsichtbarer Personen erwarten darf, sondern aus eigener Kraft sein Ziel erreichen muß: die Errichtung einer freien, demokratischen, rechtsstaatlichen und korruptionslosen Katalanischen Republik, die schnell aus eigener Kraft zu einer der blühendsten und lebenswertesten Regionen der Welt werden und sich hinsichtlich ihres Pro-Kopf-Einkommens großen Wohlstands erfreuen wird.
Ich halte dazu einige Überlegungen fest:
1. Es führt zu nichts bzw. in die Irre, wenn sich die Katalanen dem spanischen Unrechtssystem weiterhin unterwerfen. Sie mögen es durch eine Vielzahl von Eingaben und Strafanzeigen überlasten und seine wahre Natur noch deutlicher zum Vorschein bringen. Sie dürfen aber seine Autorität nicht länger anerkennen und müssen insbesondere den rechtmäßigen 130ten Präsidenten Kataloniens, Carles Puigdemont, schnellstmöglich in seinem Amt bestätigen und beim Aufbau der Katalanischen Republik unterstützen, ohne sich darum zu scheren, was das parteiische spanische Verfassungsgericht beschließt, das mindestens seit dem Jahr 2010 zum politischen Akteur in Spanien wurde und im Zusammenspiel mit dem Madrider Regime für einen konzertierten Angriff auf die katalanische Selbstbestimmung verantwortlich zeichnet.
2. Das rechtswidrige, in Teilen wohl als kriminell zu bewertende Vorgehen des spanischen Regimes, des spanischen Senats, spanischer Richter, Staatsanwälte und Polizisten sowie der verantwortlichen Funktionäre der drei für die Errichtung der Diktatur in Katalonien verantwortlichen Parteien, der Volkspartei, der Sozialisten und der Ciudadanos, sowie aller weiteren beteiligten spanischen Akteure müssen außerhalb Spaniens in einer Zentralen Erfassungsstelle dergestalt und hinsichtlich alles erhebbaren Beweismaterials zuverlässig dokumentiert werden, daß sich ein späteres Verfahren gegen diese vor einem Internationalen Gerichtshof auf die von dieser Zentralen Erfassungsstelle gesammelten Beweise und Unterlagen stützen kann.
3. Es müssen national — etwa durch umfassende Streikmaßnahmen — wie international alle denkbaren und möglichen Maßnahmen ergriffen werden, um dem spanischen Staat einen materiellen Schaden von jährlich mindestens 160 Milliarden Euro — somit in etwa dem Zehnfachen der Summe, die der spanische Staat Katalonien jedes Jahr per Saldo als seinen kolonialen ‘Gewinn’ abpreßt — zu verursachen, so daß Spanien von einer weiteren politischen Unterdrückung und wirtschaftlichen Ausbeutung Kataloniens keinen weiteren Nutzen, sondern im Gegenteil einen hohen wirtschaftlichen Schaden hätte und die Aussicht auf eine erneute zukünftige Rentabilität seiner katalanischen Kolonie schwindet. Dies muß solange erfolgen, bis der spanische Staat auf sämtliche Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber Katalonien verzichtet und die völkerrechtlich bereits wirksame Proklamation der unabhängigen Katalanischen Republik rechtswirksam anerkennt.
4. Sämtliche Strukturen der neuen Republik Katalonien müssen im Ausland vorbereitet und aufgebaut werden, solange Spanien Katalonien völkerrechtswidrig und unter Verletzung der Menschenrechte brutal unterdrückt. Dazu gehört nicht nur ein eigener Verwaltungs- und Rechtsapparat sowie der rechtzeitige Aufbau funktionierender Auslandsabteilungen des Fernsehsenders TV 3 und von Catalunya Radio, sondern auch der Aufbau einer eigenen Polizei und die vorbereitende Ausbildung eigener katalanischer Streitkräfte für die zukünftige Landesverteidigung. Angesichts der Gewaltbereitschaft des spanischen Staates wird Katalonien auch nach seiner früher oder später erfolgenden Anerkennung durch Spanien ein stehendes Heer mindestens in der Größenordnung Portugals sowie entsprechendes militärisches Gerät benötigen, um die Sicherheit seiner Grenzen und sein Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten, und es dürfte aufgrund seiner beneidenswerten geostrategischen Lage ein der NATO willkommener neuer Mitgliedsstaat sein.
5. Dem spanischen Zentralstaat muß durch zivilen Ungehorsam und friedlichen Widerstand der Katalanen jegliche Möglichkeit einer wirksamen Kontrolle und Verwaltung Kataloniens genommen werden. Dazu gehört insbesondere auch, daß die Katalanen in allen Kommunikationssituationen Vertretern des spanischen Zentralsstaats wenn überhaupt, dann nur noch auf katalanisch antworten sollten. Die Kosten der Unterdrückung müssen immer höher werden, bis auch die spanische Zivilbevölkerung in anderen Teilen des Landes empfindlich unter ihnen leidet.
6. Die Finanzierung des Aufbaus der Katalanischen Republik darf nicht von Spanien aus erfolgen, sondern muß von einem Staat oder von Staaten aus erfolgen, in denen der spanische Staat keinen Zugriff auf die Akteure hat. Die Katalaninnen und Katalanen, die den Aufbau der Katalanischen Republik vorantreiben wollen, müssen alle nennenswerte liquiden Vermögenswerte, insbesondere Geldvermögen, Aktien und Anleihen aus Spanien abziehen und in anderen Ländern wie beispielsweise Belgien oder der Schweiz sicher investieren. Damit nehmen sie zum einem dem spanischen Staat jegliche Zugriffsmöglichkeit und schwächen zum anderen die spanische Wirtschaft, was derzeit unerläßlich scheint, da die Unterdrückung Kataloniens durch Spanien nun einmal vorrangig wirtschaftliche Gründe hat. Soweit Unternehmenssitze katalanischer Unternehmen aus Spanien und Katalonien ins europäische Ausland verlegt werden können, sollte dies sicherheitshalber vorsorglich geschehen, um die Zugriffsmöglichkeiten des spanischen Staates einzuschränken und die anfallenden Steuerzahlungen bis zur Unabhängigkeit Kataloniens möglichst in andere europäische Staaten zu verlagern.
7. Die Bürgerinnen und Bürger Europas und der ganzen Welt müssen auf die prekäre Lage Kataloniens, die Errichtung der spanischen Dikatur in Katalonien und die massiven Menschenrechtsverletzungen Spaniens aufmerksam gemacht und für einen Boykott spanischer Waren und Dienstleistungen, für einen weltweiten Boykott spanischer Sportler und für das Ziel einer diplomatischen Isolation des die Menschenrechte massiv verletzenden Spaniens gewonnen werden.
8. Spiel- und Internetfilme, Theaterstücke, Romane und Gedichte müssen in möglichst vielen Sprachen und Ländern die Unterdrückungsmaßnahmen und die Repression des spanischen Staates anprangern und weltweit bekannt machen. Eine weltweite Solidaritätsbewegung für Katalonien muß zu einer weitreichenden Isolation Spaniens führen.
9. Insbesondere den Deutschen und den Europäern, aber auch allen anderen politisch interessierten Menschen in der Welt muß klar verdeutlicht werden, daß die aufständischen Verbrecher, die unter Führung des Massenmörders Francisco Franco im Spanischen Bürgerkrieg die damalige spanische Republik zerstörten und die Katalanischen Länder militärisch eroberten, nur durch die kriegsentscheidende materielle, finanzielle, logistische und personelle Unterstützung des Dritten Reichs die damalige spanische Demokratie zerschlagen und in der Folge Katalonien brutal unterjochen konnten. Länder wie Deutschland und Italien, die eine schwere historische Verantwortung für die Massenmorde im damaligen Spanien und die jahrzehntelange menschenrechtswidrige Unterdrückung der katalanischen Nation zu tragen haben, müssen sich dieser historischen Verantwortung stellen und aus ihrer Geschichte lernen. Sie dürfen Katalonien nicht nochmals verraten und erneut einer menschenrechtswidrigen Diktatur ausliefern!
10.Es muß darauf hingewirkt werden, Spaniens Mitgliedschaftsrechte in der Europäischen Union wegen schwerwiegender Verstöße gegen die in Artikel 2 des EU-Vertrags niedergelegten Grundwerte der Europäischen Union gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags solange zu suspendieren, bis das katalanische Volk sein Recht auf freie Entscheidung und Selbstbestimmung ohne jegliche Einschränkung in Freiheit und Würde verwirklichen kann und Spanien in Katalonien keine Menschenrechte mehr verletzt.
Aufgrund der menschenrechtsverletzenden, völkerrechtswidrigen und nicht zuletzt auch gegen spanisches Recht verstoßenden vorsätzlichen und fortgesetzten Unterdrückungsmaßnahmen, denen sich Katalonien seitens des spanischen Staates massiv ausgesetzt sieht, hat es nicht nur allen Grund, sein kollektives Menschenrecht auf Selbstbestimmung und auf freie Entscheidung über seine politische und staatliche Zukunft geltend machen, sondern hat mittlerweile zusätzlichen Anspruch auf eine sogenannte ‛abhelfende Sezession’ («remedial secession») zur Beseitigung des gegen die Menschenrechte verstoßenden, unerträglichen Notstandes, der aufgrund der fortwährenden, bösartigen Unterdrückung des katalanischen Volkes und seiner gewählten Vertreter durch Spanien sowie aufgrund der wiederholten Ankündigung von Vertretern der spanischen Regierungspartei Partido Popular, den Katalanen ihre ethnische und sprachliche Eigenheit nehmen zu wollen, nach Völker- und Naturrecht unabweisbar gegeben ist, zumal eine friedliche, konsensuelle innerstaatliche Lösung des Konfliktes nunmehr ausgeschlossen und den Katalanen nicht mehr zumutbar zu sein scheint.
Der Verfassungskonsens hinsichtlich der spanischen Verfassung von 1978 ist in Katalonien endgültig zerbrochen. Millionen von Katalanen erkennen den spanischen Staat nicht mehr an und wollen sich friedlich von ihm lossagen. Dagegen kann und darf der spanische Staat nicht mit Gewalt und rechtlichen Mitteln vorgehen. Und er wird, wenn und solange er es dennoch tut, damit langfristig nicht nur nicht den von ihm gewünschten Erfolg erzielen, sondern vielmehr den Prozeß der staatlichen Unabhängigkeit Kataloniens sogar beschleunigen.
Die Repräsentanten der Europäischen Union und führender europäischer Nationalstaaten, die zu den schweren, millionenfachen Menschenrechtsverletzungen in Katalonien schweigen und dem menschenrechtsverletztenden demophoben spanischen Regime so den Rücken stärken, verraten zutiefst die Werte der Europäischen Union. Sie verraten insbesondere auch Millionen von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union. Sie verraten die Ideale Europas, verleiden so das europäische Einigungswerk insbesondere den jüngeren Generationen und leiten einen für die Europäische Union langfristig selbstzerstörerischen Prozeß ein. Sie verspielen die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und ihrer Staaten in Menschenrechtsfragen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Sie setzen sich mit ihrem Verhalten in Widerspruch nicht nur zu internationalem und europäischem, sondern auch zu ihrem jeweiligen nationalen Recht. Sie setzen aufs Spiel, was die vorherigen Generationen beim Aufbau der Europäischen Union erreichten, und tragen dazu bei, daß aus dem derzeit seitens der Katalanen noch friedlich ausgetragenen Konflikt mit Spanien eines Tages eine furchtbare Tragödie wie beispielsweise in Kurdistan entstehen könnte, falls die Unterdrückungsmaßnahmen Spaniens über Jahre andauern und an Härte und Brutalität noch weiter zunehmen sollten, was dem spanischen Staat und seinen derzeitigen Repräsentanten in Politik, Justiz, Exekutive und Militär leider ohne weiteres zuzutrauen ist.
Die Freiheit Kataloniens, die Freiheit aller Katalaninnen und Katalanen, die Freiheit der in spanischen Gefängnissen einsitzenden politischen Gefangenen aus Katalonien ist auch die Freiheit aller europäischen Bürgerinnen und Bürger. Jeder anständige und aufrichtige Europäer, der das europäische Recht sowie das Völkerrecht und insbesondere die Menschenrechte achtet und respektiert, muß kompromißlos dafür eintreten, daß der spanische Staat seine Repressionsmaßnahmen in Katalonien unverzüglich beendet und die katalanische Nation von ihrem Menschenrecht auf Selbstbestimmung Gebrauch machen darf. Und jeder bis an die Grenze des Zynismus gewissenlose Politiker Europas, der zu den massiven Menschenrechtsverletzungen in Spanien schweigt und den unerträglichen Ausnahmezustand, den Spanien über Katalonien rechtswidrigerweise verhängt hat, duldend oder billigend hinnimmt, sollte unverzüglich seine Ämter niederlegen und anderen Platz machen, für die die europäischen Ideale und Werte nicht bloß hohle Phrasen, sondern ein verbindliches Leitbild darstellen.
Spanien hat in dieser historischen Auseinandersetzung, an der sich auch das weitere Schicksal der Europäischen Union entscheiden wird, nur das billige Argument der Stärke und willkürlichen Macht, Katalonien dagegen hat das geltende Recht sowie die Stärke der Argumente auf seiner Seite! Und deswegen können, dürfen und sollen auch deutsche und europäische Intellektuelle sowie Menschen aus aller Welt in den dreifachen Ruf einstimmen:
— «Visca la llibertat!» — «Es lebe die Freiheit!»
— «Visca Catalunya!» — «Es lebe Katalonien!»
— «Visca la República Catalana!» — «Es lebe die Katalanische Republik!»
Prof. Dr. Axel Schönberger: Romanist sowie unter anderem ehemaliger Vorstand des Deutschen Katalanistenverbandes (DKV) und des Internationalen Katalanistenverbandes (AILLC)
Katalanische Übersetzung:
http://unilateral.cat/2018/03/01/espanya-i-catalunya-a-la-cruilla/