Adrià Alsina Barcelona, 31.03.2016
Trotz europäischer Ermahnungen, das Gegenteil zu tun, zentralisierte der spanische Ministerpräsident Felipe González die Verwaltung der spanischen Häfen in Madrid. Katalonien hofft jetzt erneut, dass die EU den spanischen Zentralismus beendet.
Der Hafen Barcelona erwirtschaftete im Jahr 2015 einen Gewinn von 39,8 Millionen Euro. Getty
—Lust auf’n Bier im Green?
—Aber klar doch!
Es war fünf Uhr abends, die Hitze erdrückend, als wir nach dem letzten Kurs für heute aus dem Studienzentrum kamen. Da es neben der Madrider Messe liegt, war die einzige Möglichkeit, den Abend gut anzufangen, ein paar Bier im Green, einer Art Pub-Restaurant im Business Park der IFEMA, zu trinken.
Im Green war es allerdings nicht sonderlich gemütlich. Ein Glasgebäude spiegelte die Junisonne und ließ uns gemächlich auf der in einen Ofen verwandelten Terrasse schmoren. Dazu wedelte auf einem der beiden gut vier bis fünf Meter hohen Masten mitten auf dem Gehweg eine spanische Nationalflagge. Die europäische Fahne auf dem anderen wehte kaum. Das waren die einzigen Anzeichen dafür, dass sich hier in diesem protzigen Bürogebäude der Sitz der staatlichen Hafenverwaltung befand.
369 Kilometer. Dies war und ist die exakte Entfernung zwischen der Terrasse vom Green und dem ihr nächstgelegenen Hafen, dem von València. Der von Barcelona ist 609 Kilometer und der von Algeciras mit dem höchsten Transitaufkommen in Spanien 669 Kilometer entfernt. Die staatliche Hafenverwaltung Puertos del Estado kontrolliert diese mit eiserner Hand vom Schreibtisch aus. Wieso?
Es ist nicht Francos Schuld
Ist es möglich, dass der Hafen Barcelona unter Franco eigenständiger war als heute? Zum Teil ja. Nachdem der Hafen in der Nachkriegszeit hauptsächlich vom Militär kontrolliert wurde, legte das Rahmenabkommen zwischen Spanien und der Weltbank von 1965 fest, dass die wichtigsten Häfen getrennt von einander funktionieren sollten. Und so wurden folglich die Häfen in Barcelona, València, Bilbao und Huelva von der gemeinsamen Verwaltung unabhängig.
Ab 1978 erhielt der Autonome Hafen Barcelona einen eigenen juristischen und fast politischen Status durch den Anschluss an die Handelskammer. Dies ermöglichte auch die Sanierung und Restrukturierung des Port Vell (Alter Hafen) in den 1980er-Jahren. Damals war die Unabhängigkeit des Hafens Barcelona eine europäische Besonderheit inmitten von Häfen, die hauptsächlich von den Nationalstaaten und Gewerkschaften der Hafenarbeiter kontrolliert wurden, was den Sektor fast völlig zum Erliegen gebracht hatte.
Um dem Rückgang der kontinentalen Hafenaktivitäten entgegen zu wirken, wurde 1988 vom Europäischen Parlament eine entsprechende Resolution verabschiedet. Diese empfahl, den Hafeneinrichtungen mehr Selbstständigkeit zu geben. So sollte der freie Wettbewerb zwischen den Häfen angekurbelt werden. Zudem sollten die europäischen Staaten sie auf eine rechtliche Grundlage stellen, die weder vom jeweiligen Staat selbst noch von sonstigen staatlichen Einrichtungen abhängig war. Sprich: Dezentralisierung und Entpolitisierung. Die damalige sozialistische Regierung unter Felipe González (PSOE) rief eine Kommission ins Leben, die das neue Hafengesetz entwerfen sollte.
Jedoch produzierten – wie der damalige Vorsitzende der Handelskammer Barcelona, Antoni Negre, es formulierte – González und seine absolute Mehrheit im Parlament „eine Art alchimistische Transmutation“, die dazu führte, dass die Entwürfe des neuen Hafengesetzes von 1992 genau das Gegenteil dessen herbeiführten, was das EU-Parlament empfohlen hatte.
Um es kurz zu fassen: das Hafengesetz erschuf ein Monster mit Sitz in Madrid genannt Puertos del Estado (Staatliche Häfen), das alle Mitglieder der Vorstände der einzelnen Häfen ernannte außer dem Vorstandsvorsitzenden. Dieser wurde – um den Prozess der Entpolitisierung vollständig umzukehren – vom Verkehrsminister ernannt, damals Josep Borrell.
Damals schrieb der sehr gemäßigte Kongressabgeordnete der christdemokratisch-liberalen Partei Convergència i Unió (ein Zusammenschluss aus Demokratischer Konvergenz und Union Kataloniens) Lluis Recorder einen sehr kritischen Artikel, in dem er feststellte: „entgegen aller Empfehlungen der EU zur Anregung des freien Wettbewerbs […] wurde eine Superstruktur in Form einer Holding mit monopolitischen Tendenzen erschaffen“.
Das kleine Brötchen in der Tasche: Der „Majestic-Pakt“ zwischen Aznar und Pujol (1996)
Es ist nicht verwunderlich, dass, sobald Convergència i Unió wieder am Steuer saß, der damalige Präsident Kataloniens Jordi Pujol (CiU) die Neugestaltung des Hafengesetzes wieder auf die Tagesordnung brachte. Er machte sie zu einer der Bedingungen, im Parlament für die Ernennung von Jose Maria Aznar vom Partido Popular (Volkspartei, PP) zum Ministerpräsidenten Spaniens zu stimmen. Der PP stimmte ohne Weiteres zu. Es ging schließlich darum, ein Gesetz der oppositionellen Vorgängerpartei (PSOE) zu kippen. Deshalb wurden die Häfen Barcelona und Tarragona mit Glanz und Gloria Teil des politischen Paktes mit dem Versprechen, wieder zu den Verhältnissen von vor 1992 zurückzukehren.
Doch leider blieben die Beteiligten bei der Rückkehr auf der Hälfte der Strecke liegen. Anstatt die Unabhängigkeit des Hafen Barcelona wiederherzustellen und den Einfluss der Puertos del Estado (Staatliche Häfen) in Katalonien zu beenden, entwarf Aznar eine Form der Dezentralisierung in bester spanischer Tradition. Man erweiterte die Vorstände der Häfen Barcelona und Tarragona um Mitglieder der Generalitat (der spanische Verwaltungsbezirk Katalonien) und der jeweiligen Stadtverwaltung. Diese stellten dann in den jeweiligen Häfen auch zusammen die Mehrheit und konnten so den Vorstandsvorsitzenden ernennen und bekamen die eingeschränkte Macht, sowohl öffentliche Aufträge zu vergeben als auch getrennte Kostenvoranschläge zu machen. Aber die zentrale Institution Puertos del Estado wurde nicht abgeschafft, sondern alle Schriftstücke liefen weiterhin über ihre Schreibtische und sie bestimmte weiterhin alle Tarife und Strukturen.
Während es vor 1992 zuging wie beim Brezelbacken, durfte man jetzt nur noch kleine Brötchen backen. Aber immerhin: man hatte wieder etwas in der Tasche. „Ein Schritt ist getan. Den zweiten werden sie dann in der nächsten Legislaturperiode machen“, werden sie sich dabei wohl gedacht haben.
Zapatero und Aznar gegen den ‚Druck‘ von Convergència i Unió
Der Pakt zur ‚Dezentralisierung‘ von 1997 wäre von der Führung des Partido Popular (PP) nur ‚auf Druck‘ von Convergència i Unió (CiU) angenommen worden und hätte den Staat zum bloßen Berater degradiert. So erklärte die Tageszeitung La Vanguardia die Position der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) im Mai 2003, als diese kurz davor war, eine Einigung mit dem PP zu erreichen mit dem Ziel, das Hafengesetz von 1997 ein Stück weiter wegzurücken von dem Ideal von 1978.
Mit Hilfe der neuen Hafengesetze von 2003 und 2010, gemeinsam durchgesetzt von PP und PSOE, hat sich der Zustand der Häfen Barcelona und Tarragona scheinbar nicht geändert. Schaut man jedoch genauer hin, wurde der Funktionsbereich der Hafenautoritäten Stück für Stück reduziert. Diese müssen nun für jede Investition eine Genehmigung bei den Puertos del Estado anfordern. Nicht zu sprechen von den Hafengebühren: diese werden von Madrid aus durch den Staatsanzeiger BOE erhoben und fließen auch nur in deren Hände.
Die europäische Reise zurück nach 1988
Nach sechsjähriger Arbeit und drei Anläufen, verabschiedete das Europäische Parlament am 3. März diesen Jahres die neue europäische Hafenverordnung – trotz der Gegenstimmen der großen spanischen Koalition aus PP, PSOE und Ciudadanos (Bürgerpartei). Die Verordnung ist der Resolution von 1988 sehr ähnlich. Sie legt fest, dass jeder Hafen seine Gebühren selbstständig festlegen soll, und will zudem, dass eventuelle wirtschaftliche Hilfen zwischen Häfen des gleichen Landes aufgehoben werden, um den Wettweberb anzuregen.
Was ist anders als 1988? Zum einen hat das europäische Parlament, das bis zum Vertrag von Maastricht nur eine beratende Funktion innehatte, immer mehr rechtliche Relevanz bekommen. Auch wenn die Verordnung nicht endgültig ist, sie dient der Europäischen Kommission und dem Europarat als Grundlage für die ihr folgende europäische Richtlinie. Diese soll noch vor diesem Sommer verabschiedet werden.
Zum anderen hat sich die Lage Spaniens verändert: Während 1988 die spanischen Häfen, was Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu den meisten anderen europäischen Häfen betrifft, eine höhere Autonomie genossen, hat sich die Situation nach dreißig Jahren umgekehrt. Heutzutage sind die meisten kontinentalen Häfen in privater Hand oder in der von Städten. Spanien hingegen ist genau in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Das erklärt natürlich auch, warum der Widerstand gegen die europäische Regelung nur aus Spanien kam, ist es doch fast das einzige Land, das von ihr betroffen ist.
Die Terrasse der IFEMA
Was passiert, wenn die europäische Regelung schließlich angewandt wird? Im Verkehrsministerium wird gezittert, weil die Büros der Puertos del Estado oberhalb der Terrasse vom Green zum Abriss freigegeben wären. Die Situation der Häfen Barcelona und Tarragona hingegen würde sich radikal verbessern. Sie fahren jetzt schon genügend Gewinne ein, um anstehende Bauarbeiten zu planen, bezahlen und durchzuführen. Dazu gehört die längst überfällige Anbindung an das internationale Schienennetz, die schon seit Jahrzehnten in Madrider Büros erfolgreich unterbunden wird. Zudem könnten sie im Alleingang oder zusammen endlich wieder ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den großen nordeuropäischen Häfen verbessern, ohne wie bisher im gesamtspanischen Paket notgedrungen mitschwimmen zu müssen.
Darüber hinaus könnten sie auch die Hafengebühren entsprechend der eigenen Prioritäten frei gestalten, je nachdem ob sie mehr auf Kreuzfahrt- oder Frachtschiffe setzen. Sie könnten sogar eine eigene Eisenbahngesellschaft für Güterverkehr und Handling gründen, um unabhängig von der nationalen Eisenbahngesellschaft RENFE zu werden, so wie dies an einigen deutschen Häfen der Fall ist.
Das alles wird geschehen? Trotz des Optimismus‘ im Büro des Euroabgeordneten Ramon Tremosa in Brüssel, ist man in Madrid weiterhin fest davon überzeugt, dass die spanischen Häfen am bestem von der Terrasse des Green aus verwaltet werden, mehr als 300 Kilometer entfernt von der Küste. Und Ihr? Auf wen setzt ihr in der nächsten Runde?
ZUSAMMENFASSUNG:
1978 war die Unabhängigkeit des Hafen Barcelona eine Seltenheit innerhalb der meist staatlich kontrollierten internationalen Hafenlandschaft.
Das Hafengesetz von 1992 schuf ein Monster mit Sitz in Madrid genannt Puertos del Estado.
Die Hafengebühren liegen weiterhin in den Händen von Madrid und dem Staatsanzeiger BOE.
Originalartikel von Adrià Alsina auf katalanisch:
Übersetzung: Chris Lenz und Georg Sedlak