Von Ralf Streck
Nur zwei Tage brauchte die spanische Regierung, um vom Verfassungsgericht eine unverbindliche Volksbefragung in Katalonien praktisch verbieten zu lassen
Verbote in Spanien sind nichts Neues. Parteien, Organisationen und auch Kommunikationsmedien wurden in den vergangenen Jahren zahlreich „vorläufig“ verboten oder geschlossen. Nicht selten stellte sich heraus, dass dies verfassungswidrig oder rechtswidrig war, wie im Fall von zwei baskischenTageszeitungen. Vorwürfe und Entscheidungen basierten oft auf unter Folter erpressten Geständnissen. Mit „vorläufigen“ Verboten wurden die Ziele zum Beispiel bei Kommunikationsmedien erreicht, sie wurden ruiniert.
Wurde das „vorläufige“ Vorgehen meist (nicht immer) mit der Gewalt der baskischen Untergrundorganisation ETA gerechtfertigt, wird nun darüber sogar eine unverbindliche demokratische Volksbefragung der Katalanen ausgehebelt, ohne dass auch bei riesigen Demonstrationen Gewalt registriert werden konnte. So hat am späten Montag das spanische Verfassungsgericht in einer Rekordzeit die beiden Klagen der spanischen Regierung gegen die Volksbefragung in Katalonien angenommen und die für den 9. November geplante Abstimmung „vorläufig“ für zunächst fünf Monate(verlängerbar) ausgesetzt.
Erst am Samstag war das Gesetz unterzeichnet worden, das mit einer Mehrheit von fast 80 Prozent der Parlamentarier im Katalanischen Parlament verabschiedet worden war. Schon am Tag danach wurde erstmals an einem Sonntag sogar der Staatsrat von der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy mobilisiert, der sich vor einer außerordentlichen Kabinettsitzung äußern sollte. Und am frühen Montag entschied die Regierung, sowohl Verfassungsklage gegen das Gesetz wie auch gegen die Abstimmung einzulegen.
Die angeblich unabhängigen Verfassungsrichter kamen sogar noch am späten Nachmittag zu einer Sondersitzung zusammen und nahmen die Klagen an. Die Richter brauchten dafür sogar nur eine Stunde! Sie betonen zwar, sich in „keiner Weise mit der Hauptsache“ auseinandergesetzt zu haben, womit keine Vorentscheidung getroffen worden sei und eigentlich im Urteil alles offen sein müsste. Deshalb erstaunt umso mehr, dass auch „Handlungen zur Vorbereitung dieser Befragung“ explizit ausgesetzt wurden, Damit können sich alle strafbar machen, die weiter die Befragung vorbereiten. Was wäre aber, wenn das Gericht tatsächlich zu dem Ergebnis käme, wie Verfassungsexperten in Katalonien, dass eine unverbindliche Abstimmung in Katalonien sowohl durch die spanische Verfassung als auch durch die Kompetenzen der Autonomieregierung gedeckt sind?
Faktisch wurde nun erreicht, was die Regierung wollte: Die Befragung ist verboten und darf nicht einmal im Hinblick auf ein ausstehendes Urteil weiter vorbereitet werden. Offensichtlich hat man große Angst schon vor einer demokratischen Debatte. Die rechte spanische Regierung argumentiert, real handele es sich um ein „verstecktes Referendum“ über die Unabhängigkeit, was durch die Verfassung nicht gedeckt sei. Sie führt auch an, es sei geplant, auch 16-Jährige (wie in Schottland kürzlich) abstimmen zu lassen, was den Gesetzen für Referenden und Wahlen in Spanien widerspreche.
Dabei handelt es sich, wie der katalanische Regierungschef Artur Mas betont hat, um einen Vorgang, um mit zwei Fragen zweifelsfrei zu erfahren, ob die Mehrheit der Bevölkerung in Katalonien dafür ist, dass Katalonien ein eigener Staat sein soll. Im Fall, dass die erste Frage mit Ja beantwortet wird, soll auch über darüber abgestimmt werden, ob dieser Staat unabhängig sein soll. Man hat offenbar Panik in Spanien davor zu erfahren, dass anders als in Schottland eine Mehrheit in Katalonien für die Unabhängigkeit sein könnte.
Damit zeigt sich der Unterschied zwischen britischen und spanischen Konservativen. Konnten Schotten sogar verbindlich über die Unabhängigkeit Schottlands abstimmen, worüber sich Schotten und Briten geeinigt hatten, darf die katalanische Regierung nicht einmal die Bevölkerung zu dieser Frage unverbindlich befragen. Der Brite David Cameron hatte dies damit begründet, dass er über allem Demokrat sei. Auf der Insel hat man die demokratische Karte gezogen, während man in Spanien, das sich ebenfalls eine Demokratie nennt, sogar gegen eine Volksbefragung vorgeht. Und das ist ein Grund, warum sich viele Schotten auch in Großbritannien wohlfühlen und im Königreich bleiben wollen.
Es ist ein Irrglaube in Madrid, dass mit Verboten dieser Prozess beendet werden kann. Die Republikanische Linke (ERC) will an der Abstimmung festhalten und hat ihre Kampagne vorgestellt. Die linksradikale CUP hatte schon im Vorfeld in Erwartung dieses Ergebnisses zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die für die Massenmobilisierungen der letzten Jahre verantwortlich waren, rufen für 19 Uhr zu massiven Protesten vor den Rathäusern von Städten und Dörfern auf. Denen haben sich auch die Christdemokraten von Artur Mas angeschlossen.
Schon bisher hatte die Verweigerung von Autonomierechten dafür geführt, dass auch viele sich nun für die Unabhängigkeit aussprechen, die einst als Zuwanderer aus Spanien nach Katalonien kamen. Das klare Demokratiedefizit im postfaschistischen Spanien wird diesen Prozess befördern. Der Graben zwischen Barcelona und Madrid wird auch deshalb breiter, weil sich sogar die Sozialdemokraten in Madrid hinter die Verfassungsklage der Konservativen gestellt haben. Deren Sektion in Katalonien hat dagegen dem Gesetz für die Volksbefragung ebenfalls zugestimmt.
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